Die Lebensenergie
Er (Shiva) erscheint zuerst in der anfänglichen Bewegung des Atems der allein mit Leben erfüllt ist, (pranamayah) und darauf während des Einatmens und des Ausatmens (prana) welches während der Ausatmung erschafft,
und während der Einatmung zerstört. In Wahrheit ruht der Atem im Herz der Wesen.
(Svacchanda T. 7.25)
Das Prana
In der Yoga Lehre wird ein übergreifendes, alles durchdringendes und alles erfüllendes Prinzip der Lebenskraft beschrieben. Dieses Prinzip wird in Sanskrit als „Prana“ bezeichnet. Prana heisst übersetzt nicht nur Leben sondern auch Atmung.
Das Prana, obwohl alles durchdringend, befindet sich in für uns zugänglicher Form in erster Linie in der Atemluft und der Nahrung. Nach den Lehren des Yoga werden mit der Atemluft und der Nahrung sowohl grobstoffliche als auch feinstoffliche Substanzen aufgenommen und über verschiedene Bahnen im Körper verteilt.
Auch über die Sinne werden subtile Energien aufgenommen. Nicht nur aus der Luft, der Nahrung und den Sinneseindrücken, sondern auch aus den natürlichen stofflichen Elementen unserer Umwelt, beispielsweise durch den Kontakt mit der Erde, Wasser, der Vegetation und Energien wie Licht und Wärme, wird Prana aufgenommen.
Die Lebensenergie befindet sich konstant in Bewegung in Kontraktion (sancocha) und Expansion (unmesha), Pulsation und Vibration (spanda). Die subtilste Form der Lebensenergie äussert sich in der Form von ursprünglichem Klang und Vibration (nada, dhvani) dem Ursprung von Lauten und Sprache, Worten (vac) und Silben (varna).
Die Nadis
Neben dem Adern des Blutkreislaufs, dem Nervengeflecht und Lymphsystem kennt man im Yoga ein Geflecht von subtilen Kanälen, Flüssen oder Adern, Nadis genannt. Man unterscheidet zwischen den in den Nadis strömenden Energien, die als Prana (Lebenskraft) oder Vayu (Wind) bezeichnet werden und den Bindus (Punkte, Tropfen), die als Körperflüssigkeiten und subtile Substanzen, von den Pranas angetrieben, durch die Kanäle fliessen.
Agni oder Kundalini
Agni (Feuer) ist der Aspekt der Lebenskraft der als verschiedene Formen von Körperwärme, Hitze, Vibration und Erregung, vornehmlich in Form der Verdauungsenergie oder Sexualenergie im Körper aktiv ist. Im Yoga ist Agni unter anderem auch als Pranashakti (Lebensenergie), Jatharagni (Verdauungsfeuer), oder Kundalini (die Gekrümmte) bekannt. In ihrer subtile Form äussert sich diese Energie als Klang und Sprache (nada, dhvani). Übungen mit den Mantra Silben Om und Hamsah werden im Yoga zur Versenkung in diese Kraft genutzt.
Die Pranavayus
Im Körper erfüllt die aufgenommene Lebenskraft verschiedene Aufgaben. Sie nimmt dementsprechend verschiedene gröbere Formen an. Nach der Körperregion in der diese Energien vermehrt auftreten und ihren Aufgaben entsprechend werden sie unterschiedlich bezeichnet. Man unterscheidet zwischen fünf Hauptformen und fünf geringeren Formen. Diese Energien werden Prana, Vayu (Wind) oder Pranavayu (Lebenswind) genannt.
Die Bindus
Sowohl Körperflüssigkeiten, wie Blut, Sperma, Urin, Verdauungssäfte, Lymphe als auch subtile Flüsse von verschiedenen feinstofflichen Substanzen strömen als Tropfen oder Punkte (Bindu) durch die verschiedenen Kanäle oder Nadis innerhalb des Körpers. Sie werden von den jeweiligen Pranas oder Vayus (Lebenswinde) angetrieben. Auch von den Bindus gibt es verschiedene Haupt und Nebenarten.
Die drei Körper
Um das Verständnis für dieses Zusammenspiel von groben und subtilen Substanzen und Energieflüssen zu erleichtern kann man sich den Menschen mit einem grobstofflichen, feinstofflichen und einem kausalen Körper ausgestattet vorstellen.
1. In der Yoga Philosophie besteht der grobstoffliche Körper (Sthula Sharira) aus den 5 Elementen, den sogenannten Mahabhutas (Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum)
2. Der feinstoffliche Körper besteht aus den 5 Sinnesorganen, den 5 Lebensenergien (Vayu), dem Intellekt (Manas), der urteilsfreien Wahrnehmung (Buddhi) und dem Ichgefühl (Ahamkara). Dieser Körper wird Sukshma sharira, subtil Körper genannt.
3. Der Kausalkörper Karana sharira genannt, ist die Ursache der anderen Körper, die als Prinzipien in ihm latent ruhen, wie in einem Keim.
Die drei geistigen Zustände
Ist die Aufmerksamkeit auf den Kausalkörper gerichtet erscheinen die Objekte der Wahrnehmung und der Wahrnehmer selbst, das Subjekt, nicht voneinander getrennt, sondern als unauflösliche Einheit. Die Bewusstwerdung dieses Körpers lässt eine von Bedingungen und Makeln ungetrübte Wahrnehmung entstehen.
Alle drei Körper sind mit den drei grundlegenden unterschiedlichen Zuständen der menschlichen Wahrnehmung verknüpft. Im Yoga sind diese grundlegenden Zustände des Geistes, Jagat, Svapna und Sushupti: der Wachzustand, der Traum und der Tiefschlaf.
Dazu kommt der alle drei Zustände durchdringende und als Wahrnehmung immer gegenwärtige, sogenannte vierte Zustand: Turiya (der vierte) der unveränderliche innere Zeuge des Wandels zwischen Wachsein, Traum und Tiefschlaf. Turiya wird gelegentlich auch mit einem vierten Körper in Verbindung gebracht, dem Maha karana sharira , was soviel wie der Grosse oder alles überragende Kausalkörper bedeutet. Ist der Geist des Yogi konstant im Zustand von Turiya gefestigt ohne von den anderen Zuständen übermannt zu werden wird dieses Turiyatita genannt. Einige Yogis sprechen deshalb von insgesamt fünf geistigen Zuständen.
Der grobstoffliche Körper entspricht dem Wachzustand, der Subtilkörper dem Traumschlaf, man kann ihn deshalb auch Traumkörper oder Illusionskörper nennen. Der Kausalkörper entspricht dem Tiefschlaf.
Der Tiefschlaf ist kein Zustand der völligen Unbewusstheit, sondern reine Wahrnehmung die, ungetrübt von Unterscheidungen, in sich ruht. Die gegenständliche Aussenwelt im Wachzustand, oder Vorstellungen und Träume im Schlaf, werden als getrennt vom Selbst empfunden. Im Tiefschlaf jedoch erscheint alles als Teil des eigenem Bewusstseins.
Beim Asana, der Körperhaltung, beginnt man seine Yoga Praxis damit die Aufmerksamkeit auf die Haltung und den Atem zur richten um dann fortschreitend, in den anderen Gliedern des Yoga, die Achtsamkeit weiter zu verfeinern. Kann man seine Achtsamkeit soweit vertiefen alle drei Körper wahrzunehmen, befindet man sich im alles überragenden Kausalkörper (Mahakarana Sharira)
Prozesse im yogischen Körper
Es finden im Subtilkörper genauso wie im grobstofflichen Körper Prozesse der Assimilation, Verarbeitung und Ausscheidung von Substanzen statt.
Wie aus der Nahrung im Verdauungsprozess die Nährstoffe gewonnen und die Giftstoffe und für uns nutzlosen Elemente ausgeschieden werden so verhält es sich auch bei den feinstofflichen Substanzen die von uns aufgenommen und verwertet werden. Auch in unserem Erleben und in unserem Bewusstsein finden Prozesse der Assimilation, Verarbeitung und Ausscheidung statt. Der Geist verarbeitet Eindrücke und Erfahrungen, behält das Nützliche im Gedächtnis und vearbeitet oder scheidet das Unwichtige und Belastende aus.
Aus der Nahrung gewinnt man in erster Linie grobstoffliche (sthula) aus der Atmung und den Sinneseindrücken in erster Linie feinstoffliche (sukshma) Lebensenergie.
Begehren und Ergreifen, Festhalten und Verarbeiten, Ablehnen und Ausscheiden sind für den Menschen grundlegende energetische Kreisläufe die sein Erleben bestimmen. Sowohl bei den körperlichen, als auch bei den feinstofflichen, emotionalen und mentalen Funktionen hängt vieles davon ab ob diese Prozesse harmonisch, gleichmässig und flüssig stattfinden können. Yoga greift in diese Prozesse reinigend und regulierend ein.
Die drei Formen der Lebenskraft im Körper im Yoga und Ayurveda
Die Lebensenergie äußert sich im Körper in dreifacher Form:
- in der Form von subtilen Lebensenergien (Prana) oder Winden (Vayu) die in dem Netz von Kanälen (Nadi) im Körper die Flüssigkeiten und subtilen Substanzen (bindu) bewegen.
- als verschiedene Arten von Hitze im Körper, unter anderem die Verdauungswärme, Jatharagni genannt. Das Prana als Hitze erscheint auch als die Pranashakti (Lebenskraft) die Kundalini (die Gekrümmte) oder die Chandali (die Ausgestossene). Es wird durch besondere Übungen zur Aktivität angeregt.
- als Zirkulation von Sauerstoff und Nährstoffen im Blut und anderen Körpersäften, Bindus genannt, die auch im feinstofflichen Körper vorkommen.
Diese drei Formen in der die Lebenskraft den Körper vitalisiert, sind in der indischen Heilkunde, dem Ayurveda als die drei Prinzipien (Dosha): Vata (Wind) Pitta (Hitze), Kapha (Schleim) bekannt.